Max Hureau: "La route du charbon" ("Der Weg zur Kohle")

Zur Ausstellung


In einem über mehr als drei Jahre andauendem Projekt hat der Künstler Bergwerke und vor allem Bergleute in Polen (Kattowitz), die Ukraine (Donbass), Frankreich (Nord-Pas-de-Calais) und Sibirien (Kusbass) besucht.
Sein besonders Interesse galt der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Materie.
Auf seiner Reise durchstreifte er nicht nur viele Länder, sondern auch verschiedene Stadien der montanindustriellen Entwicklung – während das Augenmerk in Frankreich eher auf dem „Berg-baugedächtnis“ liegt, ist der Bergbau in Osteuropa und Sibirien eine „dramatische Realität“, wie es der Fotograf beschreibt.
Dieser Gegensatz spiegelt sich auch in der Bedeutung der Gewerkschaften wider.
So würdigt der Künstler mit dieser Ausstellung auch den Mut der Menschen, die für bessere Arbeitsverhältnisse auftreten.

Zum Künstler


Max Hureau wurde am 26.11.1971 geboren und lebt seit 12 Jahren in Paris. Seit Ende 1994 konzentriert er sich in seinem künstlerischen Werk auf Fotoreportagen, für die er zahlreiche Projektreisen in Europa, Afrika und Asien durchgeführt hat. Im Rahmen seines aktuellen Projekts zu Bergbauaktivitäten in Europa hat er nicht nur die hier gezeigte Ausstellung konzipiert, die bereits auch in Roubaix und Lille ausgestellt wurde, sondern auch zahlreiche begleitende Texte verfasst, die in der französischsprachigen Presse publiziert wurden.
Gegenwärtig plant er in Zusammenarbeit mit der ‚Société Agat Films’ einen Dokumentarfilm zum Thema.

Max Hureau über seine Ausstellung

„Vor etwa acht Jahren begann ich mit der photographischen Recherche über Tätigkeiten des Menschen, die seine Beziehung zur natürlichen Umgebung hervorheben: 1997 habe ich eine Reportage in Vietnam (Südostasien) über die Tätigkeit in der Landwirtschaft durchgeführt und zwischen 1996 und 2000 über die Tätigkeit des Handwerks in Benin (Ostafrika).
Die photographische Reise über die Bergbautätigkeit begann im November 1998, als ich zum ersten Mal das Bergwerk von Lubin in Polen besichtigte. Ich wurde damals von einer Freundin begleitet, deren Vater untertage als Bergmann arbeitete. Ich war sofort von den Arbeitsbedingungen 1200 Meter unter der Erde beeindruckt. Ich entdeckte ein zugleich zauberhaftes und gefährliches Universum.
Im März 1999 bin ich nach Polen zurückgekehrt, um meine Arbeit und meine Beziehungen zu den Bergleuten, denen ich bei meiner ersten Reise begegnet war, zu vertiefen. Vor allem in der Region von Kattowitz besichtigte ich etwa ein Dutzend Berg-werke.
Dann führte mich die Reise immer mehr nach Osten.
Im Oktober 1999 begab ich mich in das riesige Becken von Donbass, die östlichste Region der Ukraine, um dort die verlasse-nen Bergleute der ehemaligen UdSSR zu treffen. Indem ich mich mit dem Alltag der Bergleute vertraut machte, fand meine Reise schnell ein Ziel: Ich wollte die Lebensbedingungen dieser Arbeiter zeigen. Was mich trieb, die Reise nach Osten fortzu-setzen, war eine starke Emotion, eine große Wut angesichts des starken sozialen und persönlichen Niedergangs zahlreicher ukrainischer Bergleute.
Die Wirklichkeit der Bergbauwelt betrifft auch uns, die Westmächte, da der Beruf des Bergmanns auch Teil unserer Industriege-schichte ist und uns über unsere Wurzeln informiert. Daher erschien es mir im Jahr 2000 sehr reizvoll, das große Bergbaube-cken von Nord-Pas-de-Calais zu entdecken. Ich habe dann die Region von Béthune nach Valenciennes auf der Suche nach Indizien durchreist, die die Geschichte des Bergbaus erzählen konnten.
Ich stand lange auf den Halden, auf diesen echten Pyramiden, die die Anstrengungen von Millionen Menschen in sich tragen; es machte mir auch sehr viel Freude, die Feierlichkeiten zum Fest der heiligen Barbara am 4. Dezember zu photographieren.
Ebenfalls erschien es mir sehr wichtig bei der Realisierung dieser Reportage, über die ausländischen Arbeitskräfte zu berichten, über die polnische, italienische, jugoslawische und marokkanische Immigration, die den wirtschaftlichen Aufschwung unseres Landes ermöglicht hat.
Im April 2001 machte ich mich auf die letzte Etappe meiner Reise nach Russland in die Weiten Sibiriens, wo noch mehr als 600.000 Bergleute arbeiten; diese große Bergbauregion, die Kusbass heißt, ist wie ein Land, wo alles dem Bergbau verbunden ist. Während dieser letzten Etappe meiner Reise fühlte ich mich um 40 Jahre zurück versetzt. Die Bergleute dieser Region leben wie in zeitlicher Versetzung zum Rest der Welt: es sind Männer, die die Kohle mit ihren eigenen Händen herausbre-chen… Die Verlängerung der Reise bis nach Russland ist wie eine Rückkehr zu den Wurzeln des Menschen: dahin, wo die ganze Dimension der menschlichen Kraft noch existiert.
Die Reise, die am Ende des Jahres 1998 ursprünglich zwei Monate dauern sollte, hat mich schließlich zu drei Jahren der Re-cherche geführt.
Aus geographischer Sicht habe ich den „Weg der Kohle“ durch Europa verfolgt, damit zwei extreme Regionen verbunden wer-den: der westliche Teil mit Nord-Pas-de-Calais, wo es den Beruf des Bergmanns seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gibt, und das Kusbassbecken in Sibirien direkt hinter dem Ural.
Wenn der Bergbau in Frankreich in der Kollektiverinnerung verankert ist, verkörpert er für die meisten archaische Werte. In Osteuropa dagegen stellt der Bergbau eine sehr konkrete und dramatische Realität dar. Diese Männer und Frauen, die zum größten Teil vom Staat verlassen wurden, versuchen mit ihren eigenen Mitteln zu kämpfen. Ich konnte einen großartigen Wider-stand dieser Bevölkerung sehen, der sich um die Gewerkschaften herum organisiert.
Diese Gewerkschaften haben sehr ungleiche Vorteile in den jeweiligen Ländern.
In Frankreich gestaltete sich der Strukturwandel des Kohlenbeckens von Nord-Pas-de-Calais in den 80er Jahren sehr schwierig, da er zahlreiche Bergleute in sehr unsichere Arbeitsstellen führte. Immerhin kämpfte die CGT (größte Gewerkschaft der Berg-leute), und es gelang ihr, Sozialpläne auszuhandeln, damit eine Höchstzahl von Arbeitern mit besten Bedingungen in den Ru-hestand oder in den Vorruhestand gehen konnte.
In Polen verlieren die Mehrheitsgewerkschaften wie Solidarnosc oder OPZZ (ehemalige offizielle Gewerkschaft unter der kom-munistischen Regierung) trotz der großen Demonstrationen von 2003 an Boden vor der massiven Schließung der Bergwerke; sie schaffen es nicht, den Aderlass einzudämmen. Zahlreiche Arbeitsplätze im Bergbau verschwinden.
In der Ukraine stößt die unabhängige Bergarbeitergewerkschaft auf viele Probleme; sie muss kämpfen, um weiter existieren zu können und damit die Bergleute ihre seit Monaten oder sogar seit Jahren unbezahlten Löhne erhalten.
In Russland existiert die unabhängige Bergarbeitergewerkschaft seit mehreren Jahren nicht mehr. Die letzten unbestechlichen Gewerkschafter werden durch die Miliz überwacht und dadurch gezwungen, in der Illegalität zu arbeiten. Die Mafia herrscht über das riesige Kohlenbecken von Kusbass.
Ich möchte ganz besonders den Mut dieser Menschen, der Gewerkschafter und Bergleute, hervorheben, die ich während mei-ner Reise getroffen habe und die mich bei meinen Recherchen unterstützt haben.

In der Ausstellung über diese Menschen zu reden, ist auch eine Art, sie zu würdigen.“