WAZ, 14.10.2008

Über die Literatur im Ruhrgebiet

Von Werner Streletz

Gestern wurde auf Zollverein in Essen das offizielle Programm für „Ruhr 2010" vorgestellt. Das große Jahr für das Revier geht in die konkrete Planung. Für Bochum ist dieser Termin nicht nur Auftakt für jene Projekte, an denen die Stadt im Rahmen der revierweiten Planungen beteiligt ist. Ebenso wichtig ist nun der Blick auf jene Ideen, die Bochum selbst in den Blickpunkt stellen. Seit geraumer Zeit gibt es in dieser Hinsicht Überlegungen, Bochum im Rahmen von „Ruhr 2010" als „Stadt des Wortes" zu positionieren.

Eine Veranstaltung, die solchem Bemühen Unterfutter geben könnte und über die kommunalen Grenzen hin-ausweist, findet am heutigen Dienstag statt. In der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets an der Clemensstraße stellt Dirk Hallenberger ab 18.30 Uhr Literatur und Reportagen aus dem Ruhrgebiet vor.

Hallenberger, der seine Recherchen in zwei Büchern dokumentiert hat, meint zu seinen Beweggründen: „Hundert Jahre Literatur über das Ruhrgebiet: das scheint ausreichend zu sein, um Bilanz zu ziehen, um aufzulisten, was heute, am Vorabend von 'Ruhr 2010', aus der erzählenden Literatur vorzeigens- und lesenswert, aber auch bewahrenswert sein könnte."

Noch vor 50 Jahren schrieb der nachmalige Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll in dem seinerzeit viel und kontrovers diskutierten Revier-Bildband (1958) einleitend: „Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden."

Diese zentrale und doch altbekannte These übertrug Mitte der 60er Jahre der damalige Jungautor Nicolas Born auf die Literatur: „Das Ruhrgebiet ist noch immer für die Literatur ein unentdecktes Land."

Der Bochumer Hugo Ernst Käufer versuchte kurz darauf, mit verschiedenen Anthologien, die Ruhrgebiets-Literatur sichtbar zu machen. Eine Bestandsaufnahme, die die verschiedenen Tendenzen vom damals beliebten Experimentellen bis zur handfesten Arbeiter- und Indsutrieliteratur umfasste.

Der heutige Abend versucht also einen Überblick zu geben, was es im und über das Ruhrgebiet im Laufe der letzten 100 Jahren an literarischen Spuren zu entdecken gibt. Einschränkend meint Dirk Hallenberger: „Zugegeben, viele 'Klassiker' hat die Region nicht aufzuweisen. Man wird nicht behaupten können, das Ruhrgebiet habe sich nachhaltig in die deutsche Literaturgeschichte eingeschrieben." Trotzdem lohne natürlich den Blick auf die Ruhrgebiets-Literatur.

Die ausgewählten Texte, die Hallenberger anschließend vorstellen wird, betrachten das Ruhrgebiet auf kenntnisreiche Weise, ohne indessen einen Lobgesang auf das Revier oder sentimentale Industrieromanrik anzustimmen. Die Auswahl der Autoren ist überraschend: Wer wusste schon, dass sich auch Joseph Roth, Paul Schallück, Anna Seghers und Paul Zech das Ruhrgebiet zur Folie ihrer Prosa genommen haben? Natürlich wird ein in der Wolle reviergefärbter Autor wie der kürzlich verstorbene Michael Klaus nicht vergessen.

Die heutige Autorengeneration des Ruhrgebiets hat - bei allem Wohlwollen für die Reviermentalität - den Kohlenstaub indessen schon seit langem von den Schuhen geputzt.


zit. nach:
http://include.derwesten.de/archiv/detail.php?query=328687&article=1&auftritt=WAZ