WAZ, 23.02.2007, Lokalteil Bochum

Ruhrbarone - gestern und heute

Strukturen der Montanära haben sich in die heutige Zeit gerettet. Schon in dem exklusiven Zirkel der "Ruhrlade" in den 1920er Jahren ging es um das, was Manager heute Netzwerke nennen

Von Ulf Meinke

Essen. Ruhrbaron - diese Rolle wollte der Niederländer Harry Roels nie spielen. Dabei gehört der Manager als Vorstandschef des Strom- und Kraftwerkekonzerns RWE eigentlich schon von Amts wegen zu einer inoffiziellen "Rhein-Ruhr AG", die sich aus der Ära der Montanindustrie in die Zeit globalisierter Kapitalmärkte gerettet hat.

Jürgen Großmann, Roels wuchtiger Nachfolger, scheint dagegen viel mehr als der schlanke ehemalige Shell-Manager Roels dem Typus des Ruhrbarons zu entsprechen: in Duisburg geboren, mit dem Stahl groß geworden, bestens vor Ort vernetzt. Der Eigentümer der Georgsmarienhütte sagt selbst über sich: "Als Sohn des Reviers ist doch noch immer etwas Kohlestaub in meinen Lungen." Steht Großmann mit seinen zwei Metern Körpergröße etwa für eine Renaissance des Regionalen beim Traditionskonzern RWE? Kurzum: Ist er ein Ruhrbaron?
Auch dem Chef des Kohle- und Mischkonzerns RAG, Werner Müller, wird dieses Etikett zuweilen angeklebt, Müller wolle sich mit dem geplanten Börsengang "ein Denkmal setzen". Man könnte allerdings auch Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz oder Eon-Boss Wulf Bernotat zum Kreis der Barone des Reviers zählen.

Professor Klaus Tenfelde, Historiker an der Ruhr-Universität Bochum, hält wenig vom Begriff "Ruhrbaron". Tenfelde spricht vielmehr vom "Kohlen- oder Stahlbaron". "Sein Merkmal ist eine riesige Machtfülle", erläutert er. "Ab den 1920er Jahren bis 1933 war es die ,Ruhrlade', eine Interessenvereinigung von rund einem Dutzend der einflussreichsten Industriellen im Revier, die dies augenfällig symbolisierte." Thyssen, Krupp, Haniel, Klöckner - all diese Familien waren in dem exklusiven Zirkel vertreten. Man traf sich in der Essener Villa Hügel, im Düsseldorfer Industrieclub oder bei der Jagd und machte dabei Politik oder Geschäfte. "Gewisse Strukturen solcher feinen, verschwiegenen Runden gibt es auch noch in der heutigen Zeit", konstatiert Tenfelde.

"Vom Zechenbaron kann man auch deshalb sprechen, weil sich gelegentlich Industrielle mit adeligen Familien verheiratet haben. Prominente Beispiele sind im Ruhrgebiet die Familien Krupp und von Bohlen und Halbach, Thyssen und Bornemisza."

Der Begriff des Kohlenbarons habe mit der Zeit einen umgangssprachlichen, zuweilen auch einen klassenkämpferischen Charakter erhalten. "Nehmen Sie die Bezeichnung ,Schlotbaron'. Das war jemand, von dem man sich abgrenzen wollte", sagt der Historiker. "Auch der scheidende RWE-Chef Roels hat den Begriff ,Ruhrbaron' schließlich verwendet, um auf eine Gruppe hinzuweisen, mit der er vielleicht nichts zu tun haben wollte."

Zwar gebe es wiederkehrende Elemente im äußeren Erscheinungsbild des Unternehmers wie Nadelstreifenanzug, weißes, allenfalls leicht blaues Hemd, Einstecktuch, Manschettenknöpfe und kerzengerade Haltung, sagt Tenfelde. "Doch den Kohlen- und Stahlbaron klassischer Prägung kann es heute nicht mehr geben, schon deshalb nicht, weil seit 1968 kein Montanunternehmen im früheren Sinn mehr existiert. Aber es gibt auch heute noch den Typus des Managers, der seinesgleichen von gemeinsamen Jagdausflügen, identischen Urlaubsdomizilen oder vom Golf- oder Tennisplatz her kennt und den unternehmerischen Nachwuchs regelmäßig aus den eigenen Reihen rekrutiert. Heute würde man wohl von ,Networking' sprechen."

Den künftigen RWE-Chef Großmann erreichte die Nachricht seiner Benennung, als er sich auf einem Boot in der Karibik auf die "Transatlantik Regatta Blue Race 2007" vorbereitete. Großmanns exzellentes Netzwerk hielt auch über Funkkontakt.


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