WAZ, 21.02.2007, Lokalteil Bochum

Hintergründe der Migration

RUB-Historiker Prof. Klaus Tenfelde analysiert in einer neuen Untersuchung den Mythos des Reviers als "Schmelztiegel der Kulturen"

Im Ruhrgebiet leben viele Migranten - Bergbau und Stahlindustrie sorgten für immer neue Wellen von Zuwanderern. Der Zusatz "Schmelztiegel" wird dem Ruhrpott daher oft angehängt. In der neuen Ausgabe des Mitteilungsblatts des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität beschreibt Prof. Klaus Tenfelde (Direktor des Instituts) die Geschichte der Migration im Ruhrgebiet und analysiert die Situation der polnischen und türkischen Zuwanderer. Seine Ergebnisse zeigen, dass man mit dem Begriff "Schmelztiegel" vorsichtig umgehen sollte.

Die Größe einer Gruppe, ihre Religion und das Bildungsniveau beeinflussen die Integration von Zuwanderern. Aber auch die politischen Verhältnisse wirken darauf ein. Im Ruhrgebiets macht sich dies z.B. beim gewerkschaftlichen Engagement bemerkbar: Polen kamen vor allem gegen Ende des 19. Jhdts. ins Ruhrgebiet, zu einer Zeit, in der deutsche Unternehmer und Politiker die Gewerkschaften bekämpften. Aktive Gewerkschaftsarbeit hätte die Integration also nur zusätzlich erschwert. Türkische Migranten, die ab 1960 einwanderten, kannten dagegen aus ihrer Heimat wenig politische Freiheiten. Für sie war die hierzulande inzwischen anerkannte Gewerkschaftsarbeit eine Gelegenheit, sich endlich politisch zu engagieren.

Die Beispiele zeigen, wie sich die Voraussetzungen zur Integration im Laufe der Zeit gewandelt haben. Für Tenfelde ist das ein Grund, weshalb die These vom Ruhrgebiets als "Schmelztiegel" vorsichtig gebraucht werden sollten. Merkmale der Migration und der gesellschaftliche Kontext müssten mit beachtet werden.

» Info Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität, 0234/32-26920.


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