WAZ, 18.01.2007, Mantel

Europa blieb eine kühle Liebe

Wir kennen Kulturhauptstädte, doch welcher Gedanke, welcher Sinn steckt dahinter und wie soll sich das Ruhrgebiet 2010 präsentieren? Wissenschaftler beleuchten die Geschichte iner europäischen Idee

Von Christopher Onkelbach

Bochum. Europa - das ist für viele ein bürokratisches Skelett, ohne Sinnlichkeit und Seele. "Wie verliebt man sich in einen Binnenmarkt?" Die Frage von Jacques Delors, ehemals Präsident der EU-Kommission, wurde zum geflügelten Wort. Mit Kultur! Das war die Antwort, die Milena Mercouri 1983 einfiel. Von da an war es zur Idee der europäischen Kulturhauptstadt nicht mehr weit.

Seit die Entscheidung gefallen ist, dass Essen und das Ruhrgebiet 2010 den Titel der europäischen Kulturhauptstadt tragen werden, wird allerorten über Inhalte, Events und Konzepte debattiert. Die Hintergründe der Idee und ihre Geschichte fallen dabei unter den Tisch. Mit einer öffentlichen Veranstaltungsreihe wollen das Bochumer Institut für soziale Bewegungen (ISB) und die Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets diese Lücke schließen.

Ein Europa der Institutionen bleibe kalt, stifte kein Zusammengehörigkeitsgefühl, keine Identität, sagte der Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen. "Ein wirklicher Fortschritt des europäischen Einigungsprozesses ist ohne die Kraft der Kultur als neuer Antrieb undenkbar." Ohne die Kultur, die das Besondere der Länder und zugleich ihre Gemeinsamkeiten zeige, bleibe Europa auf der Strecke. Rüsen riet Essen und dem Ruhrgebiet, 2010 nicht nur als Abfolge großartiger Veranstaltungen zu begreifen, "ein akkumulierter Provinzialismus überzeugt keinen".

Die Kulturhauptstadt müsse "auch die dunklen Seiten unserer Geschichte in den Blick nehmen". Denn Europa, das sei zwar eine zivilisatorische Erfolgsgeschichte, doch auch eine Katastrophen-Geschichte, an der das Ruhrgebiet mitgeschrieben habe.

Der Bochumer Kulturdezernent Hans-Georg Küppers, einer der Initiatoren für die Bewerbung des Ruhrgebiets, stellte klar: "Wir wollen nicht zeigen, was Europa ist. Wir wollen Europa nicht inszenieren. Wir wollen zeigen, wie die Kultur dem Ruhrgebiet neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet. Hier haben wir anderen Regionen etwas zu sagen."

Ein wenig erinnere ihn das Ruhrgebiet an die Europäische Union, meinte Prof. Klaus Tenfelde, Leiter des ISB. Viele verschiedene Zentren, die zu sehr mit sich und zu wenig mit dem Ganzen beschäftigt seien. Die Kulturhauptstadt könne helfen, die Region zusammenwachsen zu lassen. Prof. Klaus Tenfelde lädt zum Kulturforum. Foto: WAZ, Kuhn/pi


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